Ignoriert Österreich die Warnsignale des Abschwungs?
Darüber diskutierten Susanne Kraus-Winkler, Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer und Vizepräsident des Fiskalrates, sowie Gerald Loacker, NEOS Wirtschafts- und Sozialsprecher, auf Einladung der Tiroler Adlerrunde mit 140 Gästen aus Politik und Wirtschaft in Innsbruck. Moderiert wurde die kontroverse Runde von dem Journalisten Meinrad Knapp.
„Wir sind der Meinung, dass der Karren brennt“, so Christian Handl, Präsident der Tiroler Adlerrunde, am Dienstagabend bei der Eröffnung des 8. Tiroler Adlerforums in der Tonhalle des BTV-Stadtforums in Innsbruck. Man befinde sich inmitten von Umbruchszeiten, als Unternehmerrunde sei es dringend notwendig, auf all die Alarmsignale und besonderen Umstände hinzuweisen und darauf, dass es endlich einen Masterplan für die Wettbewerbs- und Standortsicherheit der Wirtschaft und Industrie in Österreich braucht. Dabei könne man auf das mehrfach bewährte Vorbild Schweiz verweisen, aber auch auf den kranken Nachbarn Deutschland, wo infolge der Volkswagenkrise bis zu 30.000 Jobs auf der Kippe stehen. Volkswagen ist aber nur ein Beispiel von vielen, die deutsche Zulieferindustrie ist massiv von der Absatzkrise betroffen und stellt zwei Drittel aller Arbeitsplätze. „Hier kann man die Dimension erahnen, die auf uns zukommt. Hier müssen wir vifer agieren als unser Nachbar“, sagt Handl.
Gerhard Burtscher: Situation ist für die Firmen äußerst herausfordernd
Ein düsteres Lagebild skizzierte auch Gerhard Burtscher, Vorstand und Hausherr der BTV: „Wir betreuen rund 7.000 Firmenkunden, und während meiner gesamten beruflichen Tätigkeit war die Stimmung noch nie so schlecht. Die Unternehmen beschreiben die Situation als äußerst herausfordernd. Wenn ein Firmenkunde von uns 40 Prozent seines Personalstands in Österreich hat und diese 40 Prozent 65 Prozent seiner gesamten Personalkosten ausmachen, sollten die Alarmglocken schrillen. Derzeit leben wir von der Substanz, und das geht eine Weile gut, aber was kommt danach? Am Ende werden wir die Ärmel hochkrempeln und auch an den politischen Rahmenbedingungen etwas ändern müssen.“
Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler sieht die österreichische Wirtschaft in einer Transformationsphase, in der es um absolute Erneuerung geht. Das Thema Globalisierung stellt sich heute gänzlich anders dar als noch vor wenigen Jahren. Fest steht, dass uns auch die außenpolitischen Unsicherheiten noch längere Zeit begleiten werden. In der Politik vermisst die langjährige Unternehmerin das Überwinden ideologischer Grenzen und einen Zugang aus der Perspektive der Unternehmerinnen und Unternehmer. Kraus-Winkler schlägt ein neues Steuer- und Sozialversicherungssystem vor, damit sich Leistung wieder lohnt. Für den Tourismus fordert sie eine Neuregelung der Kontingente für Saisonarbeitskräfte sowie die Digitalisierung der Rot-Weiß-Rot-Karte.
Vernichtendes Zeugnis für die Wirtschaftspolitik
Der Chefökonom der Arbeiterkammer (AK), Dr. Markus Marterbauer, sieht Österreichs Wirtschaft ebenfalls in einer schwierigen Situation. Die Wirtschaftsleistung schrumpft 2024 das zweite Jahr in Folge, und das Budgetdefizit für 2024 und 2025 liegt weit über vier Prozent des BIP. Für Marterbauer ein vernichtendes Zeugnis für die Wirtschaftspolitik. Die Industrieproduktion in Österreich betrachtet er jedoch als Erfolgsgeschichte: Während die Industrieproduktion in Österreich seit 2000 um 75 Prozent zulegen konnte, wuchs die deutsche Industrieproduktion nur um 15 Prozent.
Ein Fünftel der Wertschöpfung stammt aus der Industrie, wo viel produziert, investiert und exportiert wird. Für den Ökonom steht fest: „Die Politik muss jetzt die innovativen Betriebe fördern.“
Provokante These: Die Arbeitskräfteverknappung als Chance
Marterbauer skizziert drei zentrale Herausforderungen: konkret die ökologische Transformation. Jeder Betrieb, der hier vorangeht, muss von der Politik gefördert werden. Die ökologische Transformation betrifft vor allem den Umstieg auf nachhaltige Energiequellen und die Kreislaufwirtschaft. Der Ausbau von Energienetzen ist für Marterbauer eine weitere Herausforderung, ebenso wie die Mobilisierung stiller Reserven auf dem Arbeitsmarkt, denn in den nächsten 30 Jahren wird die erwerbsfähige Bevölkerung nicht mehr wachsen. Diese Arbeitskräfteverknappung hält Marterbauer jedoch auch für eine Chance: „Die verfügbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden von den schlechten Betrieben zu den guten Betrieben wechseln. Und wer sich auch in Zukunft um seine Mitarbeiter bemüht, und ein attraktives Arbeitsumfeld schafft, wird kein Problem haben, Mitarbeiter zu finden.“ Die provokante These wurde von seinen Mitdiskutanten nicht geteilt. Gerald Loacker warnt davor, dass diese Arbeitskräfteverknappung dem Wachstum schaden und unser aller Leben nicht verbessern wird.
Österreich preist sich aus den Märkten, und der Aufschwung bleibt aus.
Loacker sieht die Situation durch die Stagnation der Produktivität ebenfalls düster. Der Jurist fordert einen Umbau des Sozialversicherungs- und Steuersystems. Kritisiert wird von ihm auch die obszöne Verteilung von Helikoptergeld, wie zuletzt beim Klimabonus. „Was ist in Österreich passiert? Wir haben durch ein Rekordjahr bei den Ausgaben die Inflation befeuert, und gleichzeitig zog die hohe Inflation massive Gehaltssteigerungen nach sich. Die gestiegenen Arbeitskosten wirken seither wie ein Mühlstein im internationalen Wettbewerb. Die Arbeitskosten pro Stunde liegen in der österreichischen Metallindustrie um 22 Prozent über dem Durchschnitt der Eurozone. Österreich preist sich aus den Märkten, und der Aufschwung bleibt seit zwei Jahren aus.“
Der Sozial- und Wirtschaftssprecher der NEOS kritisiert die Regierung sowohl für die steuerliche Subventionierung der Teilzeitarbeit als auch für das Fehlen eines degressiven Modells in der Arbeitslosenversicherung. Loacker sagt: „Wir räumen mit der jetzigen Steuerquote bei den Durchschnittsverdienern so ab, als wären sie Spitzenverdiener, und wundern uns, warum Mitarbeiter*innen nicht bereit sind, ihre Arbeitszeit aufzustocken. Es ist schön, wenn Kanzler Nehammer einen Vollzeitbonus fordert und damit unsere Idee übernimmt; schade ist jedoch, dass die ÖVP dann im Nationalrat gegen unseren Vollzeitbonus-Antrag stimmt.“
Vollzeitarbeit müsse steuerlich attraktiver gemacht werden, forderte auch Kraus-Winkler. Zudem müsse der Jugend vermittelt werden, dass in schwierigen Zeiten die Ärmel hochgekrempelt werden müssen. In den Worten Loackers: „Keiner, der zu Beginn seiner Karriere nicht Vollzeit arbeitet, wird später eine Firma tragen können.“
Jobgarantie im kommunalen Bereich für Langzeitarbeitslose versus Schweizer Modell
Beim Thema degressives Arbeitslosengeld hielt der Arbeitsmarktexperte Marterbauer entgegen: „Ich glaube nicht, dass man arbeitslose Menschen dadurch schneller wieder in die Arbeit führt, indem man ihnen Geld wegnimmt.“ Die Leute an die Hand zu nehmen und sie mit den richtigen Unternehmen zusammenzubringen, sei „viel besser investiertes Geld“, so Marterbauer.
Eine Jobgarantie im kommunalen Bereich für Langzeitarbeitslose halte er für einen guten Weg. Mehr Bewegung am Arbeitsmarkt würde das Schweizer Modell bringen, meint Loacker. Dort werde frühzeitig bei Jobverlust durch die Meldung bei der Arbeitsmarktverwaltung ein Signal gesetzt.
Loacker kritisiert die Jahreseinnahmen von 1,3 Milliarden Euro der WKO
Im Gegensatz zur Schweiz leistet sich Österreich das teuerste und intransparenteste Wirtschaftskammersystem Europas. Die Wirtschaftskammer verfügt über jährliche Einnahmen von 1,3 Milliarden Euro, das ist mehr als der jährliche Nettobeitrag Österreichs zur EU.
Lebhaft wurde die Stimmung im Publikum auch beim Thema Vermögens- und Erbschaftssteuer. Loacker hält die von der SPÖ geforderte Vermögenssteuer für eine reine Wohnsitzabgabe, die deutlich weniger Steuereinnahmen generieren wird, als von der SPÖ erhofft. Marterbauer entgegnet: „Ich verstehe nicht, warum ein Liberaler gegen eine Erbschaftssteuer ist, denn nichts ist leistungsfeindlicher als zu erben. Was soll an einer 0,5-prozentigen Besteuerung von Vermögen ab einer Million Euro unfair sein? Es geht nicht darum, die Betriebe zu belasten. Aktuell wird das deutsche Modell diskutiert; hier sind 85 Prozent der Betriebsgründungen von einer Vermögenssteuer ausgenommen.“
Politisches Kampfgebiet: Steuern auf Vermögen
Kraus-Winkler warnt davor, den Mittelstand mit neuen Steuern auf Vermögen ärmer zu machen. „Und was wir auch nicht wollen, ist eine Schnüffelsteuer“, so Loacker. Wiewohl sinnvoll würden Vermögenssteuern das Budgetproblem nicht lösen, sagte Marterbauer. Dazu wären größere Strukturreformen wie im Gesundheitssystem erforderlich: „Da gibt es Potenzial für Effizienzsteigerungen, insbesondere im Bereich der Schwerpunktsetzungen in den Spitälern und in der Verlagerung vom stationären Bereich in die Primary-Health-Care-Zentren.“ Freilich: Würde man heute einen Sozialstaat neu gründen, würde man richtigerweise auf die Einführung von Vermögenssteuern setzen, so Marterbauer.
Marterbauer: Müssen unbezahlte Sorgearbeit gleichmäßiger verteilen
Handlungsbedarf sieht der AK-Chefökonom auch bei der ungleich verteilten Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen, denn immer noch leisten Frauen den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit in Familie und Haushalt. Marterbauer fordert: „Wir müssen die unbezahlte Sorgearbeit gleichmäßiger verteilen.“ Ein Umdenken fordert er auch beim Thema Integration: „In Österreich ist immer noch nicht angekommen, dass wir ein Einwanderungsland sind. Wir investieren nicht genug in die Integration, gerade in den Kindergärten und Schulen, und gleichzeitig halten wir die Hürden bei den Einkommensgrenzen für die Staatsbürgerschaft enorm hoch. 80 Prozent der Reinigungsfrauen dürfen in Wien nicht wählen, damit schließen wir sie vom demokratischen Prozess aus, während sie zur Produktivität des Landes beitragen.“
Ein massives Versäumnis sieht Marterbauer auch im Pflegebereich: Hier wurde in den letzten Jahren zu wenig in die Ausbildung investiert, zumal die Arbeitsbedingungen verhindern, dass die Beschäftigten in dieser Tätigkeit in Pension gehen können. Eine Arbeitszeitverkürzung könnte gerade in der Pflege dafür sorgen, dass die Menschen nicht ausbrennen. Eine weitere Chance wäre, die 24-Stunden-Pflegerinnen in das österreichische Pflegesystem zu integrieren und nicht wie bisher zu akzeptieren, dass 24-Stunden-Pflegerinnen einen durchschnittlichen Lohn von drei Euro pro Stunde erhalten und keine politische Interessenvertretung haben. Hier stimmte auch Gerald Loacker zu: „Wir beuten diese Menschen systematisch aus.“
Nächste Regierung wird eine Konsolidierungsregierung sein
Einig war man sich am Podium auch darüber, dass es einen parteiübergreifenden Schulterschluss braucht, um die längst überfälligen Reformen anzugehen. Es bedarf eines leistungsfähigen, effizienten Staates, der sich um seine Kernaufgaben kümmert. Leichter wird dieses Unterfangen für die nächste Regierung allerdings nicht: 2025 steht ein Defizitverfahren der Union für Österreich an, nachdem die Staatsausgaben in den letzten Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Die nächste Regierung wird eine Konsolidierungsregierung sein, und es wird eine Reformagenda brauchen, um das Budget zu konsolidieren. Ohne Reformen in der Bildung und im Gesundheitswesen sowie massive Investitionen in die ökologische Transformation wird es jedoch nicht gehen, wenn man den Wohlstand erhalten und als Standort zukunftsfähig bleiben will.